Ich sehe was, was du nicht hörst
von und über Uli Fuchs (Palma de Mallorca)

vgl. www.flickr.com/photos/ulifuchs/sets/

Ich sehe was, was du nicht hörst. Ein paar chorusse über jazzfotografie.
Von Thomas Wind

Chorus nennt man die formeinheit eines jazzsolos.

Ein instrumentalist improvisiert, unterstützt, getragen, getrieben von den kollegen der rhythmusgruppe, über ein thema, dessen harmonien und strukuren. Es gibt gute und schlechte chorusse (ja, das ist die korrekte mehrzahl in musikersprache). Es gibt gute und schlechte jazzfotos.

Man kann landschaften fotografieren, architektur, mode, essen. (Uli Fuchs ist ein renommierter food-fotograf) … aber musik? Und dazu noch jazz, jene besonders spontane, im augenblick geschaffene form des musikmachens. Wenn sie dem wesen des jazz nahe kommt, kann fotografie eine enorme ästhetische kraft entfalten. Im idealfall kann man den sound sehen.

„Das A und O der künste ist rhythmus, timing, innere prozessualität“, schreibt der philosoph Martin Seel. Oft sind es momente im fluss einer improvisation, die ein jazzsolo zu einem besonderen machen. Dem jazzfotografen muss es gelingen, im musikalischen flow mit zu schwimmen und mit zu swingen. Nur, wenn er ganz dabei ist, kann er den richtigen, den wahren moment einfangen.

„Die kamera isoliert die flüchtigen erscheinungen“, hat John Berger gesagt. Die spontane entscheidung des fotografen, jetzt den ausöser zu drücken, kann einen moment in der zeit einfangen und einen nicht wiederholbaren, intimen einblick in die emotionale wirklichkeit des musikers und des musikmachens eröffnen.

Jazz ist eine sehr persönliche art des musikmachens, jazz lebt von musikerpersönlichkeiten. Viele jazzfotografen sind darauf aus, die persönlichkeit eines musikers beim spielen einzufangen und damit profile zu zeichnen, die spielweise, temperament, stil wiedergeben. Uli Fuchs porträtiert den hoch konzentrierten Ron Carter, den verschmitzten Joe Zawinul, die extrovertierte Dee Dee Bridgewater.

Uli Fuchs sagt: „Mir es geht darum, den ausdruck der musiker zu erhaschen, ihre lust am spielen, die spielfreude. Und das findet man bei jazzmusikern deutlich öfter als bei klassischen orchestern, die zum 150sten mal Bruckner aufführen.“ Es ist damit nur konsequent, dass Uli Fuchs live-jazzfotos bevorzugt, er fängt musiker bei der arbeit im club, im konzertsaal oder auf der open-air-bühne ein. Seine bilder bilden körperlichkeit, schweiß, energie, versenkung und verausgabung ab.

Der live-jazzfotograf nimmt eine interessante zwischenstellung zwischen publikum und akteuren ein. Grundsätzlich betrachtet er das geschehen aus publikumsperspektive, aber er verändert auch seine position, nimmt neue blickwinkel ein, verringert die distanz zum geschehen und wählt ungewöhnliche ausschnitte.

Jazz entsteht in der verbindung von spontanem improvisationsvermögen und technischer versiertheit – die großen improvisatoren von Art Tatum, über Charlie Parker und John Coltrane, bis hin zu Cecil Taylor waren oder sind große instrumentalvirtuosen. Das gilt auch für den guten jazzfotografen. Er muss sein instrument, die kamera im schlaf beherrschen, um den entscheidenden moment adäquat einfrieren zu können.

Jazzfotografie hatte und hat auch eine wichtige dokumentarische aufgabe. Sie macht uns zu augenzeugen, wenn wir schon nicht ohrenzeugen sein können. Dies gilt vor allem für die jazzgeschichte. So ist von dem trompeter Buddy Bolden, von dem manche sagen, er habe im ersten jahrzehnt des 20. jahrhunderts den jazz „erfunden“, zwar ein verblichenes schwarzweiß-foto erhalten, aber keine tonaufnahme.

Uli Fuchs hat in den 70er jahren jazz fotografiert und dann wieder 30 jahre später. Seine bildsprache hat eine zeitlose konsistenz, moden scheinen keine rolle zu spielen. Nehmen wir die fotos von Art Blakey, 1975 aufgenommen, und halten die von Al Foster oder Joey Baron von 2007/2008 daneben. In allen fällen sind die persönlichkeiten und die charakteristischen spielweisen dieser großen, stilbildenden schlagzeuger im foto eingefangen: der kraftvolle Art Blakey mit seinem unwiderstehlichen groove, der feinnervige Al Foster mit seinem filigranen swing, der experimentelle und unberechenbare Joey Baron.

In Serie betrachtet können jazzfotos auch die geschichte eines beglückenden musikalischen auftritts erzählen. Sie sind dann wie eine gute set-liste, sie spiegeln die dramaturgischen stationen und die unterschiedlichen stimmungen, die ein jazzkonzert durchläuft: den nervösen swing der eröffnungsnummer, die als warm-up für die musiker dient, die solistischen höhenflüge, die ruhe und kontemplation der ballade, das schweißtreibende schlagzeugsolo und schließlich die virtuose kadenz, die auf den finalen akkord zusteuert.

Warum ich jazz fotografiere.
Von uli fuchs

Musik hat mich mein leben lang begleitet. Das begann bereits, als ich vier jahre alt war und meine mutter mich in die chorproben des weimarer kirchenchors und zu den konzerten einiger bachkantaten mitnahm. Unvergessen ist mir eine aufführung von Bachs Matthäuspassion im erfurter dom, der in den späten vierziger Jahren noch teilweise zerstört war. Als elfjähriger wurde ich chorsänger im Windsbacher Knabenchor: musik bestimmte den tagesablauf, und die wochenenden waren mit konzerten ausgefüllt.

Bei meinen nürnberger quartiereltern, übrigens hier im Johannisviertel, hörte ich zum ersten mal jazz. Die älteste tochter der familie, die einige jahre in New York verbracht hatte, besaß eine kleine platten-sammlung, die wir samstagabends, nach den Lorenzer Motetten gemeinsam hörten. In dieser musik war wieder das, was mich schon in Hugo Distlers motette "singet dem herrn" so fasziniert hatte: klarheit der artikulation, rhythmische verwobenheit und swing, den man auch in Bachs orchester-suiten hören und fühlen kann.

Als ich längst schon fotograf war, besuchte ich alle mir nur zugänglichen jazzkonzerte und -aktivitäten. Das nürnberger jazzstudio, das jazzhaus in heidelbergs Ingrimmstrasse und der frankfurter jazzkeller waren sozusagen mein zweites wohnzimmer. Leider war dort fotografisch nicht allzuviel zu machen: die damalige fototechnik erlaubte es kaum, bei den recht schummrigen lichtverhältnissen ohne blitz zu fotografieren. Da gab's so etwas wie einen leitsatz: "wo du zigaretten glimmen siehst, kannst du deine kamera einpacken". Und das war in den jazzclubs meistens der fall.

Anders bei konzerten: da spielten die musiker in strahlendem, dazu damals noch weißem licht, eine freude, mit hochempfindlichem film ans werk zu gehen, die filme beim entwickeln zu "kochen", anschliessend einige aufnahmen auszuwählen und zu vergrössern. Es gab damals auch kaum limitationen, da waren nicht so viele fotografen, und bei den meisten konzerten konnte ich mich auf der bühne frei bewegen. So enstanden die fotos von Art Blakey, Joe Zawinul, Archie Shepp, Charles Mingus und Stanley Clarke. Zawinul und ich haben während des konzerts aus demselben bierglas getrunken, das auf dem Steinway stand. Daher sein verschmitzter ausdruck auf dem foto.

Drei mir sehr wichtige musiker habe ich leider nie live erlebt: Eric Dolphy, John Coltrane und Miles Davis. Die beiden ersten waren zu dieser zeit gerade gestorben, und Miles trat ab 1975 kaum noch öffentlich auf und spielte von den achziger Jahren an eine musik, die mich nicht allzusehr interessierte.

Die erfahrungen aus dieser ersten phase meiner konzertfotografie waren zwei: ich erlebte die musiker zwar hautnah, absolute begeisterung, mir dröhnten die ohren, von der musik bekam ich aber viel zu wenig mit. Deshalb ging ich die nächsten dreissig jahre nur noch in konzerte um zuzuhören.

Das änderte sich, als ich vor einigen jahren wieder zurück nach Palma zog. Mittlerweile gab es in Mallorca ein erfreuliches angebot von clubs, jazzkonzerten, festivals und - ausgezeichnete instrumentalisten. Ein bisschen traurig, dass ich von so vielen grossartigen jazzmusikern, die ich erlebt hatte, keine aufnahmen gemacht habe, legte ich mir folgendes konzept zurecht: ich versuche während der ersten zwei, drei stücke eines konzerts möglichst ausdrucksvolle porträts der musiker zu machen. Dann höre ich mir das konzert an, und gegen schluss versuche ich, die dInge zu fotografieren, die mir nach meiner meinung noch nicht so recht gelungen sind oder die mir noch fehlen. So profitiere ich doppelt. Ich erlebe ein konzert, und ab und an gelingen mir gute bilder.

Der grosse unterschied zwischen meiner täglichen studioarbeit und der jazzfotografie: im studio habe ich so gut wie alles im griff, aufnahmeobjekt, licht und schatten, bildkomposition, requisiten bis hin zu brotbröseln (ich mache sehr viel foodfotografie), sind festgelegt und gegebenenfalls mit dem kunden abgestimmt. Ich habe weitgehend das ergebnis im kopf, bevor ich auf den auslöser drücke. Ganz anders im club oder im konzertsaal. Nichts ist vorherbestimmt. Gibt es genug licht auf der bühne? Sind alle musiker gleichmäßig ausgeleuchtet? Du hast es eben nicht im griff. Hier gleicht die arbeit sehr viel mehr dem shooting, der jagd, wie das fotografieren im amerikanischen ja genannt wird. Oder der arbeit eines fotojournalisten: "mach was aus dem, was du vorfindest, aber mach's gut, in deinem stil". Diese arbeit gibt mir sehr viel befriedigung. Ich sehe mir meine eigenen freien fotos allemal lieber an als die meisten meiner kommerziellen arbeiten, obwohl ich bei denen selbstverständlich die gleichen künstlerischen maßstäbe anlege.

Oft werde ich gefragt: warum sind jazzfotos fast immer schwarzweiss? Die antwort ist recht einfach. Jazzmusiker sind während des spielens zwar gewöhnlich mit freude dabei, aber andererseits doch auf das höchste konzentriert. Und schwarzweiss-fotografie ist die konzentriertere form des abbildens, zumindest dort, wo ein motiv nicht von der farbe lebt. Wenn ich unter hundert konzertfotos drei finde, die farbig wirklich mehr kraft haben, ist das eine seltene ausnahme. Anders beim theater oder der rockmusik. Dort ist farbe ein vielfach entscheidendes element der inszenierung, sie lebt bisweilen davon. Doch davon ist hier nicht die rede.

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